„Paula will noch nicht Küssen!“
icon.crdate09.02.2023
500 Kinder bei Vorstellung der Initiative „Trau Dich!“ zur Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs in der Bühler Halle Beilngries
500 Kinder bei Vorstellung der Initiative „Trau Dich!“ zur Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs in der Bühler Halle Beilngries
Paula ist in einen Klassenkameraden verliebt und wird von einer Freundin dazu gedrängt, ihn zu küssen, möchte das aber eigentlich noch nicht. Vladimir ekelt sich vor den Schlabberküssen seiner geliebten Oma und weiß nicht, wie er ihr das erklären soll. Der Verlobte ihrer großen Schwester berührt Alina unsittlich. Ein Freund vertraut sich Luca an, dass der Schwimmlehrer ihm sein Genital gezeigt hat.
Vier ineinander verwobene Geschichten, die den Kindern vermittelt haben, wie wichtig es ist, eigene Grenzen und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Fiktiv zwar, aber nah genug an der Realität vieler Schulkinder. Erzählungen, die den Kindern den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen vermitteln. Die ihnen zeigen, wo sie sich Hilfe holen und wie sie Gruppendruck standhalten können.
Kindgerecht und einfühlsam brachte das Berliner Theaterensemble Radiks rund 500 Kindern der 3. bis 6. Klassen der Grund- und Mittelschulen aus Beilngries, Denkendorf und Kösching Themen wie Kinderrechte, körperliche Selbstbestimmung und sexuellen Kindesmissbrauch näher.
Interaktiv wurden die Kinder mit einbezogen, wie beispielsweise Vladimir seiner Oma verdeutlichen kann, dass er sie gerne hat, aber ihre Liebkosungen nicht will. „Mit einem Freund zur Oma gehen und ihr sagen, dass er das nicht möchte“ oder „Wegrennen und Grimassen schneiden“ waren zwei Vorschläge der Kinder. Letztendlich entschied sich Vladimir dafür, der Oma einen Brief zu schreiben. Auch Paula fand einen guten Weg, wie sie sich ihrem Klassenkameraden annähern kann, ohne schon Küssen zu müssen.
Jedes der Probleme auf der Bühne wurde so behutsam aufgelöst. Alle im Raum fieberten während der Vorstellung sichtlich mit, schwiegen bei den aufwühlenden Stellen und konnten umso lauter bei allen lustigen Momenten lachen. Mit tosendem Applaus endete die Veranstaltung. Sichtlich begeistert verließen die Kinder die Vorstellung.
Siegmund Hammel, der Leiter des Amtes für Familie und Jugend Eichstätt zeigte sich vom Theatertag begeistert: „Ich finde es enorm wichtig, mit Kindern über diese schwierigen Themen zu sprechen. Die Erwachsenen sehe ich in der Pflicht, den Kindern dabei zu helfen und ihnen dafür Wege zu zeigen. Deshalb hat es mich besonders beeindruckt, wie engagiert die Kinder in der Aufführung mitgeholfen haben, Lösungen für die problematischen Situationen zu entwickeln“.
Beratungsrektor Andreas Fichtl vom Staatlichen Schulamt im Landkreis Eichstätt war froh, dass das Präventionsprojekt „Trau Dich!“ heuer wieder angeboten werden konnte. Prävention, die möglichst früh ansetze, sei eine unabdingbare Notwendigkeit im Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Mit dem Projekt habe man eine sehr wertvolle Ergänzung der schulischen Bemühungen auf diesem Gebiet. Schulrat Rieß ergänzt: „Was aber in dem Theaterstück ganz toll rüberkommt, sind die vielen „Gefühlsbäder“, welche die Kinder tief in die Handlung einsteigen lassen. Um die Prävention zum Ziel zu führen, geht dies viel leichter über die Gefühle. Nur dadurch fangen die Schülerinnen und Schüler mit vertrauten Menschen an zu reden und können sich im Bedarfsfall über Erlebtes austauschen.“ Ramona Kerschenlohr, Fachbereichsleitung des Allgemeinen Sozialdienstes am Landratsamt Eichstätt bestätigt, dass die Initiative eine gute Möglichkeit sei, Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, den eigenen Gefühlen zu vertrauen und Grenzen zu ziehen. „Wenn Kinder wissen, wo diese verletzt werden könnten, fällt es leichter, sich Hilfe zu holen.“
„Eine rundum gelungene Veranstaltung.“, da waren sich die Beraterinnen der WEIche, der Fachstelle gegen sexuelle Gewalt im Landkreis Eichstätt, Anna Fischer und Claudia Frensch-Rosenow, die gemeinsam mit dem Staatlichen Schulamt und dem Amt für Familie und Jugend dieses Projekt verwirklicht haben, einig: „Die „Trau dich!“-Initiative bietet für Eltern, Lehrkräften und Kindern eine gute Möglichkeit im Alltag über Sexualität und sexuelle Gewalt zu sprechen. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, können Kinder nachhaltig vor sexuellen Übergriffen geschützt und ihnen die Hilfe angeboten werden, die sie brauchen“.
Die Veranstalterinnen konnten zudem das Berliner Radiks-Ensemble zu einer weiteren „Trau Dich!“-Aufführung im Juni 2023 gewinnen.
Hintergrund:
Bereits zum dritten Mal war das Theaterstück „Trau Dich“ als Kooperationsprojekt der WEIche (Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt im Landkreis), dem Amt für Familie und Jugend und dem Staatlichen Schulamt zu Gast im Landkreis Eichstätt.
Flankiert wurde diese Aufführung von einer Lehrkräftefortbildung und zwei Elternabenden an den jeweiligen Schulen, bei denen Lehrkräfte und Eltern über die Initiative informiert wurden, Basiswissen zum Thema sexualisierte Gewalt vermittelt wurde und Möglichkeiten der Prävention sexueller Gewalt und Interventionsschritte bei Vermutungen aufgezeigt wurden.
Die Kinder wurden von ihren Lehrkräften im Vorfeld auf die Veranstaltung altersgerecht vorbereitet.
Die Initiative entstammt einem bundesweiten Engagement zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Seit 2019 wird es durch die Bayerischen Staatsministerien für Unterricht und Kultur und für Familie, Arbeit und Soziales bayernweit weitergeführt.
Die WEIche als Fachstelle berät, unterstützt und hilft bei Fragen zum Thema „sexuelle Gewalt“, wie beispielsweise bei Unsicherheiten ob das, was passiert ist, ein sexueller Übergriff war, oder zeigt Wege auf, was zu tun ist, wenn im persönlichen Umfeld von einem Übergriff oder von sexueller Gewalt berichtet wurde. Die WEIche ist im Dienstleistungszentrum des Landratsamts Eichstätt in Lenting, Bahnhofstraße 16, sowie telefonisch unter Telefonnummer: 08421/70 459 oder per Mail weiche(@)lra-ei.bayern.de zu erreichen.