So viele Kinder wie noch nie wollten sich gruseln
icon.crdate18.10.2023
„Gänsehauteffekt“ bei der Gruselstunde für Kinder im Jura-Bauernhofmuseum
„Gänsehauteffekt“ bei der Gruselstunde für Kinder im Jura-Bauernhofmuseum
„Wann geht denn die Geisterstunde endlich los?“ Ein blonder Bub rutscht vier Minuten vor dem offiziellen Beginn der „Gruselstunde für Kinder“ im Hofstettener Jura-Bauernhofmuseum unruhig auf seinem mitgebrachten Kissen herum. Die Anspannung auch des übrigen Publikums ist auf dem urigen Dachboden des alten Museumsstadels greifbar: In diesem Jahr waren so viele Kinder wie noch nie gekommen, um bei Kerzenflackern und Laternenschein einen sanften „Gänsehauteffekt“ zu erleben. Die Atmosphäre unter dem Gebälk mit den Mauerritzen und alten Holzdielen war für die Veranstaltung mehr als perfekt. Bereits 2022 wurde die Veranstaltung von der rappenvollen Wohnstube unters Stadeldach verlegt, „denn die Stube fasst die vielen gruselwilligen Kinder und auch Erwachsenen gar nicht mehr“, so Organisatorin Marianne Grund vom Museumsverein. Unter dem Motto „Wer möchte sich gruseln?“ erzählte sie zusammen mit Susanne Tratz und heuer erstmals Dr. Claudia Grund mehr als eine Stunde lang spannende, unheimliche, gruselige und sogar lustige Geschichten. Für Claudia Grund war die Stunde eine Premiere, trat sie doch in die großen Fußstapfen des im März 2023 verstorbenen Herbert F. Mayer („Haf“), der als Musikant die Gruselstunden von Anbeginn mit begleitet hatte. „Claudia hat es wirklich toll gemacht, mein Vater hat bestimmt von irgendwoher verschmitzt zugehört“, lobt Co-Erzählerin Susanne Tratz, die Tochter des unvergessenen Haf. Fehlen durften natürlich nicht die selbstgebackenen Honigkuchengespenster, die an die Kinder verteilt wurden. Dank der Backkunst von Marianne Grund konnte jedes Kind sein eigenes Gespenst an Ort und Stelle verzehren, um sich für das Gruseln zwischendurch zu stärken.
Ins Leben gerufen wurde die traditionsreiche Veranstaltung übrigens 2001 durch Marianne Grund selbst, die den Vorschlag gemacht hatte, für die Kinder eine eigene Veranstaltung in dieser Form anzubieten. Der damalige Museumsbetreuer Wunibald Iser war von der Idee so begeistert, dass er gleich erste Schritte unternommen hatte – Herbert F. Mayer und dessen (ebenfalls bereits verstorbene) Ehefrau Gisela wurden ins Boot geholt und komplettierten das Erzähltrio mit Frau Grund. Später kam Mayer-Tochter Susi Tratz hinzu und gestaltete als Nachfolge ihrer Mutter Gisela mit. Im Laufe der vielen Jahre hat sich Marianne Grund einen großen Schatz an Gruselgeschichten angelegt. Inzwischen gibt es sogar den einen oder anderen Eichstätter Studenten, der mit der Gruselstunde aufgewachsen ist und heute noch gerne an diese besonderen Abende seiner Kindheit zurückdenkt. „Gerne erinnere ich mich selbst an zwei reifere Damen, die Jahr für Jahr Posten hinter dem wohlgeheizten Stubenofen bezogen haben, als wir noch in die Stube einluden. Sie haben mir dann einmal lachend erklärt, sie würden keine Gruselstunde auslassen und jedes Mal, auch bei schon bekannten Geschichten, sich wieder tüchtig erschrecken“, berichtet Marianne Grund, befragt nach besonderen Erlebnissen rund um diese Veranstaltungsreihe. Auch der Vater, der zur Stärkung eine Flasche Schnaps mitbrachte und für die Erwachsenen am Ende ein Stamperl ausgab, ist ihr gut erinnerlich.
Dicht gedrängt saßen Buben und Mädchen also auch heuer beieinander, um den rätselhaften Ereignissen zu lauschen – sogar die anwesenden Erwachsenen ließen sich von den Erzählungen des Trios in den Bann ziehen, das sich auch heuer viel Mühe beim Auswählen der Geschichten gemacht hatte. „Ich versuche immer, eine Bandbreite an spannenden Geschichten über Gespenster, Hexen und schaurige Wesen, teilweise sogar aus der Eichstätter Region, zu finden“, verrät Marianne Grund. Bei der Auswahl der Geschichten sei auch in den Vorjahren niemals auf Horror oder blutrünstige Ereignisse gesetzt worden: „Es waren immer Geschichten des sanften Schreckens, gerne auch Sagen und Legenden und auch lustige Begebenheiten, die zunächst unheimlich daherkamen und sich dann in harmlosen Spaß auflösten.“ Lächelnd blickt Grund in erwartungsvolle Gesichter, registriert die mitgebrachten Taschenlampen und den einen oder anderen Vampirumhang.
An diesem Freitagabend, noch dazu einem 13., waren erstaunlich viele jüngere Kinder mit von der Partei, was angesichts der unterschiedlichen Altersstufen den Erzählerinnen viel Fingerspitzengefühl abverlangte. Die Kinder wollen weder über-, noch unterfordert sein. Ziel ist es, die Kinder spannend zu unterhalten, zu erheitern und keinesfalls zu verschrecken. Bei der Gruselstunde merkt man, dass Kinder unabhängig von digitalen Medien noch zu begeistern sind, und zwar mit einfachem Erzählen von spannenden Dingen. Als Auftakt hörten die Kinder ein heiteres Spukgedicht, dann ging es weiter mit einem Gespenst ohne Kopf, das als Schwammerl im Wald sühnen musste, vom übermütigen Vitus Leberfleck kurz vor seiner Erlösung geköpft wurde und ihm nachts erschien. Lacher erntete die Geschichte vom Museumswärter Bollersack und einem um Mitternacht lebendig gewordenen Dinoskelett, in „Das Gespenst im Schlafanzug“ nahmen die Erzählerinnen ihr junges Publikum mit auf die Reise des Junior-Gespenstes Willibald, der beim Spuken vor Schreck selbst gelbe Streifen bekam. Um seine Angst zu bekämpfen, fing das Gespenst zu singen an – „Singen und gleichzeitig Angst haben geht nicht“, lernte das Publikum und damit, was man tun muss, um sich nicht zu fürchten. Schauer erzeugte das „Fremde Kind“, das auf einer Geburtstagsfeier auftauchte. Im „Stummen Bräutigam“ erkennt die schöne Rosa gerade noch rechtzeitig, wer ihr Bräutigam ist. Warum sitzt ein stummes Mädchen in einer Gewitternacht vor dem Haus? Und was hat es mit dem traurigen Mädchen auf sich, das nachts an der Haustüre um Brot bittet? In „Der Nachtvogel“ lässt sich ein tapferer Junge von seiner Angst nicht unterkriegen, und man erfährt, wie der kleine Leo ein gefräßiges Monster im Kühlschrank entdeckt. Kurz vor Schluss gehen noch zwei vorwitzige Mädchen auf Geisterjagd, bevor Marianne Grund zum gruseligen Abschluss kommt: Die Geschichte von Hans, Sepp und Peter in New York bildet, wie stets, fulminant den Schlusspunkt eines absolut gelungenen Erzählreigens!
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